Über 140 geputzte Stolpersteine, zahlreiche Engagierte und insgesamt sechs Spaziergänge: Das ist das Fazit der diesjährigen Aktion „Neukölln putzt Stolpersteine“. Auch in diesem Jahr wurden die Berliner Freiwilligentage zum Anlass genommen, mit dem Putzen der Messingplatten ein aktives Zeichen für die Erinnerung an die Opfer und Verfolgten des Naziregimes zu setzen. Die frisch gereinigten Stolpersteine werden sichtbarer im Stadtbild des Bezirks, niedergelegte Blumen weisen auf die Steine hin und Begegnungen während des Putzens laden zum Austausch ein.
Einige Impressionen, Bilder und Hintergründe zu der Stolpersteinaktion in Neukölln könnt ihr in diesem Blogbeitrag nachlesen – vielleicht motivieren euch diese Eindrücke ja, selbst einen Putzspaziergang zu organisieren!
6 Gruppen putzen in 6 Kiezen
Insgesamt 242 Stolpersteine prägen die Gehwege im Bezirk Neukölln. Wir vom NEZ freuen uns sehr, dass sechs Spaziergänge zum Putzen dieser Steine in den verschiedensten Neuköllner Kiezen durchgeführt wurden. Der Ablauf eines Spazierganges ist dabei sehr ähnlich: Meist verlesen die Engagierten einen kurzen Text über die Biografie des zu gedenkenden Menschen, anschließend wird der Stein gereinigt und eine Blume niedergelegt.
Mit dabei waren das Projekt „Shalom Rollberg“ im Schillerkiez und an der Karl-Marx-Straße und die Initiative „pro Neubritz“ rund um den Kranoldplatz. Aber auch die aktiven Freundinnen der „Retsina-Gruppe“ putzten Steine im Reuterkiez. Sehr gefreut haben wir uns auch über das Engagement von den Schüler*innen der Zuckmayer-Oberschule, die einen Putzspaziergang im Flughafenkiez durchführte. Gemeinsam mit dem Museum Neukölln reinigten auch die Schüler*innen der Britzer Fritz-Karsen-Schule Steine rund um die Hufeisensiedlung. Wir vom NEZ waren auch dabei und luden interessierte Neuköllner*innen zu einem Stolpersteinspaziergang entlang der Sonnenallee ein.
Die Schicksale hinter den Messingplatten
Auf unserer Route mit 17 Stolpersteinen begegneten uns unterschiedlichste Schicksale und Biografien von ermordeten oder verfolgten Menschen. Darunter waren Familien, die vor der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz geflohen sind, aufgrund ihrer kommunistischen Gesinnung verfolgt wurden oder als Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden.
Den Abschluss unserer Route bildeten die Steine von Berta Reichmann, Lilo Hirschweh und Peter Edel. Das Ehepaar Lilo und Peter waren Beide während ihrer Zwangsarbeit im Widerstand tätig und versuchten mit Flugblättern die Bevölkerung über den Kriegsverlauf und die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes zu informieren. Lilo Hirschweh und ihre Mutter Berta Reichmann verloren ihr Leben in Ausschwitz. Hier begegnete Peter Edel seiner Ehefrau Lilo ein letztes Mal – er überlebte und wurde 1945 im KZ Ebensee befreit. In seiner anschließenden Tätigkeit als Künstler und Schriftsteller setzte er sich für ein aktives Erinnern an die Shoa und gegen Antisemitismus ein.
Nach einigem Schrubben und jeder Menge Messingpolitur glänzten diese drei sehr verschmutzten Steine wieder, die 2021 auf der Sonnenallee verlegt wurden.
Putzen führt zu Begegnung
Die Spaziergänge setzten hierbei nicht nur ein sichtbares Zeichen zum Erinnern – sie machen auch die Neuköllner*innen auf das Thema aufmerksam und laden interessierte Fußgänger*innen zum Gespräch ein. So berichtete die „Retsina-Gruppe“ von mehreren Gesprächen mit neugierigen Passant*innen. Das Thema rund um die Stolpersteine wurde auf Englisch erklärt und sich über das Erinnern an die Opfer und Verfolgten ausgetauscht.
How-To Putzspaziergang
Einige der Messingplatten waren auf den Gehwegen nur schwer zu erkennen. Staub und Dreck haben sie fast unsichtbar gemacht. Umso wichtiger ist es also, sie regelmäßig zu reinigen. Einen Putzspaziergang auf die Beine zu stellen ist simpel: Die Koordinierungsstelle Stolpersteine bietet eine Übersicht über alle Stolpersteine in Berlin an. Hier sind auch die Biografien der einzelnen Opfer oder Verfolgten hinterlegt – die Recherche wurde häufig von Ehrenamtlichen durchgeführt. So lassen sich Routen zusammenstellen und mit einigen Mitstreitern/-innen ein Spaziergang zum Reinigen und Erinnern organisieren.
Erinnerungsarbeit für das Zusammenleben von heute
Die verschiedenen Spaziergänge zum Reinigen von Stolpersteinen zeigten: Das Engagement rund um die Gedenksteine ist niedrigschwellig und lädt verschiedene Menschen ein, sich mit den Themen Antisemitismus, Verfolgung und Diskriminierung zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung enthält Lehren, die auch in unserer heutigen Gesellschaft Aktualität besitzen. Sie sind für alle Neuköllner*innen, sei es Schüler*innen oder Engagierte, im gemeinsamen Zusammenleben wichtig – denn Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit führen viel zu schnell zu Gewalt und Verfolgung.
Mehr zu dem Projekt Stolpersteine findet ihr übrigens hier: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/projekt